Brotjobs und Kunst

die-toten-hosen-dth_photo_01-webIch erhielt eine Anfrage zum Auflegen für einen 40. Geburtstag. Das vorbereitende Gespräch machte mich schon ein wenig stutzig: es sollen möglichst viele Top-Ten-Hits der letzten Jahre dabei sein. Ich erklärte, dass ich nur Vinyl auflege und nur ganz, ganz, ganz wenig Hits der letzen Jahre liefern könne, dies aber eigentlich auch nie ein Problem war.

Die ersten Monate des Jahres waren nicht besonders gut, so dass ich den Job nicht ausschlug. Um den Kunden zu beruhigen, schlug ich vor, ausnahmsweise ein paar Sachen von CD zuzuspielen, wenn nötig. So besorgte ich mir Bravo-Hits-Scheiben und hörte mich die letzten Jahre durch. Nur so viel: es gibt eine akustische Hölle. Ich habe sie gehört.

Aus fast 800 Songs siebte ich rund 45 Stücke, die ich entweder brauchbar oder notwendig hielt. Die brannte ich auf 3 CDs. Ab 19:30 legte ich zum Essen und zu  den  Cocktails Musik auf, die ich für mondäne Hintergrundmusik halte: Bossa, leichten Jazz, Soulballaden. Auf ein Zeichen hin schwenkte ich dann gegen 22:30 auf Tanzmusik um. Die ersten 30 Minuten verschoss ich mehr Hits, als ich an einen kompletten Abend spiele. Zuerst gezielt aktuelle Hits, um… Vertrauen zu gewinnen. Dann versuchte ich es mit Stevie Wonder, Michael Jackson, die Klassiker halt. Es kam gut an, doch am besten kam das Zeugs an, was von CD lief.

Ich will es nicht verkomplizieren, aber auch nicht schönreden: ich verbog mich auf das hässlichste. Der größte Wunsch des Kundens, was unbedingt sein musste, war „Tage wie diese“ von den Roten Rosen. Ich schämte mich, es waren wirklich körperliche Qualen. Mein Nervenkostüm war dann so dünn, dass ich die Fragen, ob Wünsche okay seien mit barschen Antworten wie „Nein, die nerven nur“ erwiderte.

Fazit: ein zufriedener Kunde, ich total erschöpft und einige zu recht beleidigte Gäste. Nein, sowas darf mir nicht mehr passieren.

Nachwort: es gibt so viele Gründe für Musik. Für mich bedeutet Musik ein Kosmos an Klängen, Texten, Menschen und ihre Geschichten. Musik reflektiert und kommentiert Zeiten und Gesellschaften und berichtet mir Zusammenhänge. Ich höre mir Elis Regina und Tom Jobim an, wie sie Aguas de Marco singen und erfreue mich an diesen obskuren, aber unendlich schönen Lied und deren Interpretation, um mir dann die Version von David Byrne und Marisa Monte reinzuziehen. Dann denke ich über das Verhältnis von Männern und Frauen nach und wie Musik Alternativen anbietet, die über die gesellschaftliche Realität hinaus weist.
Aber für die meisten Menschen ist Musik ein Vehikel für Sentimentalität. Auch dies ist eine Realität, die ich zu akzeptieren habe.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert