Tag 14 – Enuma

Improvisation ist König

Aufgewacht und gleich an mein Plattenspielerdilemma gedacht. Dabei schmerzten mir die Glieder, mein Kopf dröhnte, die Nasenhöhlen zu, der Hals kratzig. Man nennt es Erkältung oder auf englisch „pain in the ass“. Es bringt einen nicht um, aber nervt höllisch. „Alternativlose Situation“ würde Frau Merkel sagen. Ignorieren ist die halbe Miete.

Zuerst schrieb ich den Blog. Ich war eigentlich ganz fix, trotzdem gehen dabe im Schnitt bis zu zwei Stunden drauf: nochmals lesen, verbessern, Bilder raussuchen, auf Facebook eine Galerie anlegen, etc. Ich mache das von Herzen gerne, aber ich muss mich doch um meinen Schallplattenspieler kümmern!

Der Gedanke, schon wieder bei Hifi Knopf aufzulaufen ist mir unangenehm. Also kontakte ich erst mal einen Bekannten, der Ingenieur von Beruf ist. Mein Plan ist folgender: ich habe einen kleinen und einen großen 2024. Den großen habe ich den Arm geschrottet. Vielleicht kann man den Arm des kleinen auf den großen transplantieren? Die Werke sollten identisch sein. Doch der Ingenieur winkte ab: er hat keinen Zugriff auf seine Werkzeuge, weshalb er zu Knopf verweist. Der Kreis ist geschlossen, jetzt gehe ich los.

Ich nehme 2 Kissen und polstere Mammut aus, um darauf die beiden 2024er zu Knopf zu transportieren. In der Werkstatt ist eine junge Frau, die ich bisher nicht mitbekam. Sie ist extrem zuvorkommend und freudig überrascht, als sie mich als Haru Specks erkennt. Sie wollte zu Cemo kommen, doch ihre Band hatte eine Probe. Sie singt und spielt Saxophon. Das finde ich sehr kühl und ich fasse arroganterweise mehr Hoffnung in die Jugend von Heute. Doch zum 2024er-Problem: der Mann mit den heilenden Händen habe frei, doch sie würde sogleich eine Notfall-SMS an ihn schicken. Ich finde ihren Einsatz großartig, aber auch etwas over the top, ohne mit dem Chef gesprochen zu haben. Sie ist aber gar nicht zu stoppen, trotzdem überquere ich die Aachener zum Geschäft, um mit Herrn Knopf zu verhandeln.

Der Herr Knopf grinst mich beim Eintreten auch gleich spitzbübisch an. Ich erläutere mit gesenkten Haupt mein Problem, er legt seine Stirn in Falten und meint, dass der Mann mit dem Plan erst am nächsten Tag wieder da wäre. Nun, was soll ich tun? Ich bedanke mich und ich frage, ob er eine Idee habe, wo ich sonst noch an Plattenspieler käme. Er schlägt Berendt auf der Kölner Straße vor. Komisch, kenne ich schon. Als ich davor stand, las ich „Montags geschlossen“. Aber gut, die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Ich überquere nochmals die Aachener Straße zur Werkstatt. Die junge Frau meinte, der Mann mit den heilenden Händen wäre auf den Weg. Ich bin nicht wenig baff und frage, wie weit er zu fahren habe und ob sie mich auf dem Handy anrufen könne. Alles klar, ich gehe also zur Brunnenstraße, um Aki von der Süßen Erinnerung ein Studentendeal abzuschwatzen: ein Baguette mit Kaffee zu kleinen Preis. Natürlich, ich bin doch ein Student des Lebens seit 98 Semester. Doch bevor Aki in Aktion treten konnte, klingelte mein Handy: der Mann ist in der Werkstatt!

Also wieder zurück. Da steht er breit grinsend und schüttelt mitfühlend den Kopf. Ich offeriere ihm zwei Varianten: den kleinen fit machen oder den Arm vom kleinen auf den großen verpflanzen. Aber bitte möglichst heute noch, da das Enuma toll und schön ist und sich sooooo viele angemeldet haben. Er verspricht aufrichtig, sein möglichstes zu tun. Was für ein toller Typ!

Zu Aki wieder und das Studentenmeal reingepfiffen, einen kurzen Plausch mit der Brunnenstraßenselbsthilfegruppe geführt und dann auf Mammut zu Berendt in der Kölner Straße gefahren. Es ist 13:30 Uhr, als ich da ankam. Vorher habe ich nochmals die Öffnungszeiten gecheckt: 11 – 15 Uhr. Exotisch, aber ich befinde mich im Bereich des Möglichen. Der Laden ist aber verwaist und etwas bang rufe ich die Nummer an, die an der Türe angeschlagen ist. Herr Berendt nimmt ab, ich erzähle ihm, dass ich vor seiner Türe stehe und er antwortet im gereizten Ton von guten Handwerkern, ich solle mal das Schild zu ende lesen. Unten steht: Mittagspause von 13:00 – 14:00 Uhr. Er sei am Essen gerade. Statt ihm dazu zu gratulieren sage ich, ich käme also um 14:00 Uhr wieder. Was tun? Mario im Enuma checken, ob alles klar ist.

Ich setze mich mit Mario vor seinen Laden auf die Bank und er offenbart null zu wissen, was ihn erwartet. Wieviel Leute denn kämen und was er im Kühlschrank haben solle und was ich denn brauche. Ich antworte, dass der Abend zuvor ungefähr 15 – 20 Leute wegen der menschlichen Jukebox kamen, ich möglicherweise ein Verlängerungskabel brauche und er Bier im Kühlschrank haben solle und ich vielleicht keinen Plattenspieler habe. Er meint: „kein Problem, ich habe einen Braun zu Hause“. Ich höre „Braun“ und denke mir: geile Sache! Aber nein, so einfach will ich es mir nicht machen. Er gibt mir seine Nummer, damit ich ihn anrufen kann, wie der Stand an der Plattenspielerfront sei.

Zwischenzeitlich ist es 14 Uhr vorbei und ich fahre zu Berendt. Beim Eintreten lasse ich einen älteren Herren vor, was ich wenige Minuten später bereue. Der gute Mann versucht Herrn Berendt in ein Semiprofi-Profi-Gespräch zu verwickeln, was ich selbst nur zu gut kenne. Dass die und die Tonbandmaschine in den 70ern ja immens verkauft worden sei, etc. pepe.

Der Boden Enumas, der Fuß Marios, die Boxenkabel Harus. Lang lebe der Genetiv!

Ich blättere in den Platten und schaue das Sortiment an gebrauchten Plattenspielern an und ahne schon, wie mein Gespräch mit Herrn Berendt verlaufen würde: was ich suche, ist nicht da. Der ältere Herr bemerkt dann irgendwann, ob ich denn ein Mitarbeiter der Werkstatt sei und Herr Berendt erwidert, dass ich ein wartender Kunde sei. Ein schöner Wink mit dem Zaunpfahl. Und tatsächlich meint der Herr, er sei eben eine plapperfreudige, rheinische Frohnatur, worauf ich erwidere, dass ich halt ein schweigsamer Badener sei. Sein Argument, er sei schließlich schon 72 Jahre alt kann ich nicht toppen, aber er geht tatsächlich doch frohgelaunt.

Der Rest war in 2 Minuten abgewickelt. Ich erzählte ihm von der Tour, was ihn erwartungsgemäß null beeindruckte. Ich hätte ihm wohl auch sagen können, dass ich ein Zombiemusical aufführe und ihn als Gabdalf buchen möchte. Der Mann ist eben ein Profi durch und durch. Dann komme ich zum Kern und frage ihn nach 2024er mit CH 130- oder 135er-Chassi. Im Gegensatz zum älteren Herren weiss ich, dass Profis Seriennummern beeindrucken. Doch Herr Berendt zeigt auf einen nicht selbstverstärkten Dual für 400 Euro und meint, dass solche Geräte immer überholt werden müssten und mein Gesuch sich nicht lohnen würde. Herrje, ich habe es versucht… Also Tschüssikovski, Herr Berendt.

So werde ich nie mit Schreiben fertig, also den Schweinegalopp eingelegt: zur Werkstatt von Knopf. Der Mann mit dem Plan ist guter Dinge und wir verabreden uns auf 16:30 Uhr, Ich also nach Hause, um Hausdingers zu machen. Um halb 5 bin ich wieder in der Werkstatt und man sagt mir, es gäbe schlechte Neuigkeiten. Der Mann mit dem Plan hat gleich das komplette Laufwerk des kleinen in den großen umgepflanzt, weil der große einfach einen stärkeren Verstärker habe. Guter Mann, hat mitgedacht. Aber: das alte System des großen hat einen Defekt im rechten Kanal, das andere System des kleinen im linken Kanal. Bitte gehen Sie zurück auf los: kein Stereo. Verdammte Hacke, ich könnte sonstwas vor Ärger. Aber es bringt nichts. Wir beschließen, ein neues System zu bestellen. Was eigentlich nur bis 17 Uhr geht, doch wir haben 17:05 Uhr. Er ruft den Ansprechpartner auf dem Handy an und das Teil soll am Mittwoch raus. Meine bange Frage: ist es am Donnerstag da, damit ich den 2024er nutzen kann? Doch der Mann mit dem Plan verweist darauf, er könne keine Garantie für die Post übernehmen. Einleuchtendes Argument, wir leben ja nicht mehr in den 90ern, wo X+1 galt. Ich danke ihm aufrichtig für seine Mühe, er ruft mich an, wenn das Teil ankommt.

Was tun, was tun, was tun? Ich gehe alle Möglichkeiten durch: MKII, 2 Boxen und den Verstärker mitnehmen. Dann könnte ich die beiden Boxen von Mario mit anschließen und den Raum gut beschallen. Die Magie ist zwar etwas geringer, der Sound aber besser. Der Verstärker ist jedoch ein Line-Teil. Soll heissen: er bläst den Sound exakt so raus, wie er reinkommt. Kein verändern der Höhen oder Bässe. Was bei Singles von den 50ern bis jetzt jedoch kontraproduktiv ist. Also auch noch das Mischpult mitnehmen, um ein wenig fitzeln zu können. Dann kann ich doch aber auch den zweiten Plattenspieler mitnehmen und mixen. Mehr Spaß beim Tanzen und ein höherer Durchsatz an Singles, also schneller = mehr. Okay, so mache ich es.

Mario erzählte Mittags noch eine Kraftwerk-Anekdote: sie seien ganz in schwarz mit weissen Handschuhen die Kö rauf und runter gelaufen. Also wähle ich den schwarzen Anzug mit schwarzem Hemd. Da es aus Kübeln gießt beschließe ich, ein Taxi zu nehmen. Mammut hat auch keine Chance bei 2 MKII und den Boxen ohne zusätzlichen Gepäckträgern. Ich checke eine Motorkutsche für 19:05 Uhr, mache noch schnell meine Gebete, ziehe mich um und schleppe alles nach unten. Taxi steht bereit, wir räumen ein und Tschüss!

Mario ist wie immer tiefenentspannt und ruhig. „Kein Stress“ ist das Motto. Da ich aber kein Italiener bin, habe ich den Ehrgeiz, um 20 Uhr fertig zu sein. Rumräumen, Kabel ziehen, mit Klebeband fixieren, und so weiter. Herrje, ich schwitze mir Handtellergroße Flecken in mein Hemd, die Erkältung macht sich in Hitzewallungen bemerkbar. 2 Damen kommen herein und ich versorge sie mit Listen, um dann weiter aufzubauen. Endlich bin ich fertig und mache einen Soundtest, doch nix da! Einer der Plattenspieler geht nicht. Da kommt Andreas herein, mein alter Freund. Der kennt sich mit solchen Sachen viel besser aus und ich nutze unsere Freundschaft aus, indem ich ihn bitte, mal zu checken, damit ich eine Zigarette vor dem Enuma rauchen kann.

Andreas macht alles nach Plan und meldet nach 10 Minuten, dass das Mischpult einen Schlag habe. Und zwar eher vorne als hinten, da… hier kannst Du Dir eine komplexe Strategie vorstellen, die zum besagten Ergebnis führt. Ergo: es geht nur ein Plattenspieler. Ich checke die Zeit: 20:30 Uhr. Von wegen deutsche Pünktlichkeit. Ich danke Andreas und hole die Wünsche ein, um diese abzuspielen.

Marios und meine Boxen feiern ein Fest. Der Sound ist großartig, satt und ausgewogen. Es kann getanzt werden. Aber es kommen keine Tänzer. Es kommen schon Leute und sie wünschen sich auch unentwegt, aber ich sehe sofort, dass es sich nicht um Tänzer handelt. Ist mir nun aber auch egal. Ich spiele die Platten, die wirklich gut ausgewählt waren. Die eine oder andere hängt auf dem MKII plötzlich, aber was kann ich mehr tun, als die Schultern hochziehen? Da kommt Marc mit einem Freund, der nun das dritte oder vierte Mal zugegen ist. Er drückt mir etwas in Geschenkpapier in die Hand. Ich bin gerührt, habe aber noch keine Muse, es auszupacken. Erst mal Wünsche bedienen bzw. vorbereiten.

Nach einiger Zeit lese ich die beihängende Karte und öffne das Geschenk. Es handelt sich um ein heiles Exemplar der Münchener Freiheit-Single. Wie großartig ist denn das? Ich bin sehr berührt und bedanke mich.

Irgendwann gegen 22 Uhr bemerkt Mario, dass er schon lange nicht mehr so spät in seinen Laden war. Er habe Spaß mit den Leuten und freue sich, neue Gesichter zu sehen. Dann macht er mir auch noch etwas zu essen und wir besprechen, ob wir nicht einen Tanztee für alte Säcke wie uns veranstalten sollten. Wenn Du ein alter Sack wie wir bist und gerne Sonntag Nachmittag tanzen möchtest, dann hinterlasse Deinen Kommentar. Das würde sehr motivieren.

Gegen 23:30 Uhr fordere ich das Publikum auf, noch einige Singles zu wünschen und tatsächlich bin ich um 5 nach 12 fertig. Verabschiedung der letzten Gäste, Mario und ich sitzen auf einen kleinen Plausch vor dem Enuma, um dann konzentriert abzubauen. Um 1:20 Uhr sind wir fertig. Mario ruft ein Taxi, ich werfe alles rein, der Droschkenkutscher fährt mich nach Hause. Ich schleppe den ganzen Kram auf 3 Anläufe in den zweiten Stock, um nun bis knapp 3 Uhr zu tippen.

Morgen ist Mittwoch, also Galapagoz-Tag. Mit welchem Equipment ich aufschlagen werde, kann ich noch nicht abschätzen.

All is full of love,
Haru

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Wurde endlich mal gewünscht. Ein Kracher vor dem Herren.

6 Antworten auf „Tag 14 – Enuma“

  1. … langsam wird mir beim Lesen Deines Tagebuchs schwindelig… und so bin ich taumelnd gespannt, was uns heute im Galapagoz erwartet… viel Glück!
    PS… sonntäglicher Alter-Sack-Tanztee ausschließlich mit Alter-Sack-Tanzmusik?

  2. „Brunnenstraßen-Selbsthilfegruppe“ gefällt mir sehr gut! Mit Aki als Gesprächsleiter. Beim Eintreffen sollte jeder zunächst stehenbleiben und sich vorstellen. So in der Art „Ich heiße Susanne und ich bin Brunnenstraßenbewohnerin“. Danach müssen dann aber auch alle klatschen. In diesem Sinne liebe Grüße aus Nr. 38

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