Tag 10 – Eiscafé Adria

Aufbau in der Nische

Meine Wohnung sieht langsam wie das Hinterzimmer eines Wahnsinnigen aus. In der Küche lungern 3 kaputte und 1 einsatzfähiger Plattenspieler samt deren Lautsprecher herum, im Musikzimmer stehen noch die Kisten der 600 Schallplatten und warten darauf, einsortiert zu werden. Die Umstände des Plattenspielerfuhrparks weisen nur eine Möglichkeit auf: der große 1224er muss ran. Und wenn schon, dann auch dieses Mal die dazu gehörenden großen, weißen 2-Weg-Boxen. Zwar schwerer und größer, aber dafür ist der Weg zum Eiscafé Adria nicht allzu weit.

Zwischenzeitlich gleichen die Fahrten mit dem vollbepackten Mammut kleinen Himmelfahrtskommandos. Überhaupt das Fahrrad aufrecht zu halten ist eine Kunst. Im freitagnächmittäglichen Verkehr dann eine Spur wechseln zu wollen und dabei nicht in den Straßenbahnschienen hängen zu bleiben grenzt an Voodoo. Ich versuche, bei all der Huppelei die nächsten 50 Meter vor mir im Auge zu behalten, um Gullydeckel und Schlaglöcher zu umfahren, um diesen „Pateng!“-Effekt zu vermeiden: Mammut macht einen Hüpfer und der Plattenspieler hängt für eine Zehntelsekunde in der Luft, um dann von der Schwerkraft ergriffen auf den darunterliegenden Singlekoffer zu knallen.

Die Eierei klappt und ich stelle Mammut vor dem Adria ab. Das Eiscafé ist hinter einen überdimensionierten Stromkasten versteckt und macht aus der Ferne keinen eleganten Eindruck. Doch vom Nahen zeigt es reizvolle Details: die komplette Frontseite ist verglast, der Bereich des Eisverkaufes kann komplett geöffnet werden. Das ganze macht einen qualitätsvollen 80er-Jahre Eindruck von Aluminium und gealterten Messing. Die Spiegelflächen sind entsprechend verdunkelt, die Tische sind wirklich schwer und massiv (und die Tischflächen auch verspiegelt). Walter, der Besitzer, hat diesen Charme von lässigen Italienern. Er stellt mir einen älteren Herren vor, dessen Funktion oder Beziehung ich nicht erfasse. Er war einfach den ganzen Abend da, saß mal hier, mal dort, vertreibt sich die Zeit auf dem Gehweg.

Wir bauen den Laden etwas um, damit ich die Nische neben dem Eingang besetzen kann. Und tatsächlich bin ich 2 Minuten nach 8 mit dem Aufbau fertig und lege eine Vogelstimmenplatte auf. Walter fragt, wie viele Gäste ich erwarte, was ich natürlich nicht konrekt beantworten kann. Irgend etwas zwischen 2 und 20 vielleicht, was weiss ich? Mein Gefühl hat mich schon zu oft getäuscht bzw. die Realität mich überrascht. Ich nehme mir zwischenzeitlich einfach vor, das beste aus dem gegebenen zu machen.

Ein Mann und zwei Frauen besuchen das Café und haben offensichtlich keine Ahnung über den Abend. Sie scheinen Stammgäste zu sein und witzeln mit dem Walter herrum. Ich drücke ihnen die Listen in die Hand und sie blättern eher lustlos darin herum. Walter wünscht sich Kravitz „It aint over till it’s over“, da betreten 2 Damen das Adria, die ich Nachmittags in der Brunnenstraße sah. Aki von der Süßen Erinnerung verteilte meine Tourpostkarten dem Publikum. Ob sie deswegen kamen konnte ich nicht klären. Sie wünschten sich 6 Titel, die ich nach und nach abspielte.

Es tröpfelte erst, dann schwoll es zu einen Strom an. Bildlich gesprochen, klar. Egal, der Laden füllte sich bis auf den letzten Platz. Nun hatte ich alle Hände voll mit Zettel annehmen, Platten raussuchen und aufräumen zu tun. Die Grüppchen an den Tischen waren unterschiedlichst. Ein Paar erzählte, sie seien zu Besuch und kämen aus Worms und fänden das alles nur großartig. Eine Tischgruppe formierte sich um Olli, Kerstin und Marina. Thorsten kommt auch vorbei. Armin, Manfred und eine SMS meines Vermieters,  wo ich heute wäre. Irgendwie hätte ich mal zählen sollen: 40 – 50 Personen dürften es gewesen sein. Und keine Stammgäste, sondern alles Menschen, die konkret die Jukebox suchten. Ich freue mich innerlich, da ist eine kleine Sonne in meinen Bauch.

Ganz schwierig ist das mit dem Annehmen von weiteren Wünschen. Immer wieder überschlage ich, wie viele ich nun schon angenommen habe und wie lange sie anhalten. Ich komme immer wieder auf 23:30 raus, kann aber nicht einschätzen, wie viele Leute dann noch da sind. So mache ich gegen 22:30 die Durchsage, dass jede/r einen Wunsch anmelden kann, ich werde alle Platten abspielen. Das kann natürlich nach hinten losgehen und ich stehe noch um 1 Uhr hinter dem 1224er. Eifrig werden die Listen nochmals geblättert und Wünsche abgegeben. Und – Oh Wunder, ich greife vorweg – ich spielte den letzten Titel (der immer mein eigener Wunsch ist) um 3 Minuten nach Mitternacht ab.

Hinterköpfe. Oder: die Macht der Bilder.

An  einer Stelle des Abends wurde es… wie soll ich es ausdrücken? – schwierig. Wie es in Südeuropa gang und gäbe ist, lief ein großer Fernseher mit Stabhochsprung drauf. Ich finde das eigentlich nicht schlimm, aber wenn zwischenzeitlich alle gebannt in die Glotze glotzen und „Oooohhh! Aaaahhhh!“ beim Reissen der Stange machen, dann läuft meines Erachtens etwas falsch. Ich frage zwischen 2 Liedern, ob die Musik nicht beim Fernsehen störe und alle so „Nein, wir hören ja zu, kein Problem“. Da reitet mich ein Teufelchen und ich rufe, dass ich das ganze traurig fände. Sie sollten sich doch lieber unterhalten, statt gemeinsam mit offenen Mund die Hälse auszurenken. Glücklicherweise kommt einige Minuten später ein Interview im Fernsehen, was ohne Ton nun wirklich nicht spannend ist. Ich fordere Walter auf, die Kiste abzuschalten, was er tut. Niemand beklagt sich.

Die Stimmung ist super. Niemand springt zwar auf den Tisch und reisst sich die Kleider vom Leibe, aber es brummt regelrecht vor angeregten Gesprächen. Bei Dingern wie Residents „Satisfaction“ merken dann alle auf und leiden gemeinsam am vermeintlichen Krach. Mann will den Namen des Wünschers erfahren und jemand ruft, er würde 5 Euro zahlen, wenn ich das Lied abbrechen würde. Aber da muss man gemeinsam durch. Eine Jukebox hat da keine eigene Meinung und kann sich nicht beeinflussen lassen. Und dieses gemeinsame Durchleiden hat auch etwas verbindendes. Alle sind froh wie Sau, als das Lied dann zu Ende geht.

Schön war auch der extrem ungewöhnliche Wunsch nach der B-Seite von Kriss Kross „Jump“. Als das Lied ertönt, meldet sich die Wünscherin und offenbarte, sie dachte, es wäre Chrstopher Cross. Darauf hin drehe ich die Platte um und spiele die A-Seite. Okay, ich bin doch nicht unbestechlich wie eine Maschine.

Das Getränk des Abends war Skorpito oder so ähnlich: Zitroneneis, Sekt und noch irgendwas in Tumblern (heissen die kleinen, dicken Gläser so?). Macht einen verwegenen Eindruck und ist schön zu schlappern. Kurz nach Mitternacht wird der Abend beendet, alles erhebt sich. Während ich zusammenbaue, verabschieden sich alle und überall im Raume. Viele trafen sich nach langer Zeit wieder, es wurden Querverbindungen zwischen einzelnen Freundesgruppen geklärt und irgendwie scheint die Verbundenheit unter den Menschen größer als zu Anfang des Abends zu sein. Und genau darin liegt die eigentliche Bedeutung in der Magie von Musik: Gemeinsamkeiten statt Trennendes zu erspüren, sich zusammen an Liedern wie „Mein Name ist Nobody“ oder „Ain’t no Sunshine“ zu erfreuen.

Mein Freund Mammut und ich vor dem ehemaligen West-LB-Dingens

Heute Abend ist der linksrheinische Termin im Muggel. Ich wage keine Prognosen, doch es wird ganz sicher interessant. Und Natasa feiert ihren Geburtstag dort mit ihren Gästen. An dieser Stelle herzlichst alles Gute, liebe Natasa. Glück und Gesundheit für das nächste Jahr!

PS: es wurde einiges fotografiert und ich hoffe, ich kann später noch einige Bilder nachträglich einpflegen. Vielen Dank!

Nachtrag: 2 neue Bilder, beide von Thomas S., dafür vielen Dank. Und auf Facebook gibt es ein kleines Album dazu. Ach so, If you like it, then like it.

4 Antworten auf „Tag 10 – Eiscafé Adria“

  1. … „Kriss Kross“ vs. „Christopher Cross“ ist mir beinah das Höchste! 😀
    … und ja, „Satisfaction“ von den Residents will mir unbekannt erscheinen… ich muss das dann wohl mal suchen… viel Glück heute im ‚Muggel‘ (ich muss ‚leider‘ heute einen Geburtstag in der „Hafenbar“ beschallen…) M*

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