Ein eigenartiger Tag war der Donnerstag. A., ein alter Freund, kam zum Kaffee vorbei und wir zeigten uns in alter Manier unsere Wunden, die das Leben halt so schlägt, um aber gleich darauf über alles zu lachen. Wobei das Lachen gestern schwerer fiel.
Dann besuchte mich J. und wir besprachen ein wichtiges Projekt, welches seit Monaten in der Entstehung ist und nun schnell fertig werden muss. Der existierende Druck, der da nun auf mich während der Tourphase auf mich lastet, macht mich nicht gerade fröhlicher.
Doch dann geschah etwas wunderbares am Nachmittag. Ich mag es nicht erzählen, aber andeuten, um nicht den Eindruck zu machen, ich wäre gestern den ganzen Tag unglücklich durch die Gegend gestolpert.
Dual 1224, der eigentlich neue Star im Hause Haru Specks, kam nicht auf das Fahrrad Mammut gestern. Ich wollte für das Levent den Ball flach halten, eine Bauchentscheidung. Ich war wieder einmal spät dran, so dass ich eine der extrem ausgeleierten Gummiflitschen in der Wohnung vergaß. Ich wollte nicht den vollgepackten Mammut unbeaufsichtigt auf der Straße lassen, zurrte also alles mit der einen fest. Es war eine einzige Wackelei auf dem Weg und ich spürte jede kleinste Unebenheit wie ein Faustschlag. Mit der einen Hand versuchte ich den Kram am Rutschen zu hindern, mit der anderen lenkte ich Dank Diaprojektorständer quer aufgeschnallt alles durch die Lücken dieser Welt.
Das Levent hatten wir vor Jahren als „Bilk gewinnt“ in einen Hinterzimmer monatelang bespielt, doch irgendwie traute sich so gut wie niemand in den Laden. Ja, es ist eine Schwulenbar und auch noch nicht mal eine schicke. Ja, die Ausstattung ist eher fragwürdig. Ja, die Klosteine stinken durch den ganzen Laden. Aber man kann hier ohne Befürchtung aufdrehen und laute Musik machen, was eigentlich ausreichen sollte. Aber ich schweife ab. Nur noch so viel: in Hamburg oder Berlin hätte „Bilk gewinnt“ sicherlich eingeschlagen.
Im Levent sitzen eine Hand voll Männer vorne an der Theke und diskutieren irgendwas. Ich bemerke wieder einmal, wie viele Vorurteile ich im Kopf habe. Schwule Männer sind nicht immer exotisch, kreativ und geschmackvoll, sondern mitunter einfach sehr spießig. Ich baue im hinteren Teil des Ladens, gegenüber den Sofas, alles auf, da erscheint auch schon Manfred, der jeden Abend dabei war. Es kam zum im vorherigen Artikel beschriebenen Achsenunglück mit dem 1210, der aber glücklicherweise schnell behoben war. Egal, ich schwitzte wie ein Affe im Anzug, aber die Schau muss weiter gehen.
Mit Listen, Wunschzetteln und Stiften gehe ich zu den Männern an der Theke und spreche sie laut und deutlich mit „meine Herren!“ an. Die meisten der Herren scheinen nicht richtig zu verstehen, was der Popanz soll, da doch der Computer an der Theke kostenfrei Eurotrash durch den Laden scheppert. Zwei der Männer scheinen doch Lust zu haben und füllen Zettel aus.
Manfred war schneller, so dass ich seine 5 Wünsche spielte. Da ist doch einer der Herren glatt etwas unzufrieden, wann denn end-lich sein OMD käme. Ich erläutere ihm, wie eine Warteschlange funktioniert und er geht zurück an seinen Platz.
David, die extrem junge Bedienung, bringt mir im 10-Minuten-Takt Wasser aus dem Hahn (nach der Zogel-Nacht fühlte ich mich etwas angeschlagen) und den einen oder anderen Wunschzettel. Der Kontakt mit dem Publikum war eigentlich keiner. David holte den Herren auch Zigaretten aus dem Automat, was ich seit den 80ern in alten Gasthäusern nicht mehr erlebte. Ich stellte mich mit Händen hinter dem Rücken und breitbeinig hinter den Plattenspieler und versuchte, gute Mine zum Spiel zu liefern.
Da hauchte 1210 in der Auslaufrille von „Zauberstab“ sein Leben aus. Ich ging auf die Herren zu und erläuterte das Problem: Auszahlen der fehlenden Lieder oder Ersatzplattenspieler holen. Scheinbar war ihnen alles egal, so dass mich ein doofer Ehrgeiz ritt: ich radelte schnell Heim, brachte 1210 nach oben und holte 1224 runter. Wieder zurück, aufgebaut und weiter gemacht. Doch der richtige Impuls, da ein junges, spanisches Pärchen erschien, welches schon im Ohme am Markt dabei war und eine Tourliste von mir in der Hand hielt. Ich dankte und gratulierte ihnen zu ihren Mut und erläuterte in einigen Sätzen, dass sie auf alle Fälle bei der Pechmarie dabei sein müssen. Sie wählten erstaunlich geschmackssicheres aus (endlich mal Robert Hawley!), nippten an ihren Alt und unterhielten sich auf spanisch. Das Leben ist mitunter doch ein David Lynch-Film.
Dann um 23 Uhr waren die Wünsche ausgespielt. Ich ging nochmals auf die Herren zu, die entweder schon wünschten, oder zu betrunken waren, mein Anliegen zu verstehen. Also baute ich alles ab, klaute dem Laden noch 2 Meter Boxenkabel, um alles auf Mammut festzuzurren, da radelt Mayo an. Wir quatschten noch eine Zigarette lang und er fuhr zum Galapagoz, der anderen Schwulenbar, die auf dem Tourzettel steht, aber irgendwie ein anderer Laden als das Levent ist. Ich drücke es so aus: ich freue mich sehr auf das Galapagoz.
Eine Erfahrung reicher. Ich danke dem Levent für die Gelegenheit und verweise auf das Eiscafé Adria heute Abend, das Hauke und ich vor einigen Jahren zur Lauschdiele machten. Das Eis und der Kaffee dort sind super, die Musik auch. Versprochen!
… Dein Tourblog ist wunderbar, Danke!
Danke!