move

die zeile „her ass is a spaceship i want to ride“ ist im video von n.e.r.d. zensiert, nä?

Freitag: 5:30 aufgestanden, 2 Stunden mit Armin meditiert, stundenlang Platten aus dem Regal gezogen, Auto geliehen, Anlage abgeholt und reingequetscht, die Scheiben kistenweise irgendwie noch reingefummelt, ins Auto gesetzt und nur mit 15 Minuten Verspätung Richtung Hochzeit losgefahren.

Dank Verfahrerei wurden aus den 15 Minuten über eine Stunde. Die Gesellschaft ist sekttrinkenderweise schon da. Ich versuche möglichst unsichtbar das Equipment in den Veranstaltungsraum zu schmuggeln, baue alles auf und mache Soundcheck. Doch da kommt nichts aus den Boxen raus. Alles checken, Anlagevermieter anrufen, mit ihm alles haarklein durchgesprochen: nix. Er will schon losfahren, doch wir vereinbaren, dass ich nochmals in Ruhe alles prüfe, bevor er umsonst 120 Kilometer zurück legt.

Ich habe es schon dutzende Male erlebt, dass ich in Hysterie Fachleute bemühte, die einen einzigen Blick auf das Problem werfen und es ist weg. Verstehst Du? Sie legen ihre heilenden Hände auf einen Monitor und das Bild ist wieder da. Oder sie stellen fest, dass ein Kabel sich gelockert hat. Diese Art der Blamage wollte ich unbedingt vermeiden. So machte ich etwas, was eigentlich keinen Sinn ergibt: ich schaltete alles aus und wieder ein (ich meine, das ist analoger Kram und kein Computer, der sich aufhängt). Und was passierte? Alles funktionierte!

Der Anlageverleiher am Telefon wollte das ganze gar nicht recht glauben und versprach, auf Abruf zu sein, um zur Not doch schnell vorbei zu fahren.

So war ich gerade rechtzeitig zum Essen doch noch mit allem fertig. Ich nutzte das kleine Zeitfenster und machte mich erst mal auf der Toilette ausgiebig frisch: waschen, rasieren, umziehen und schon ist man halbwegs ein neuer Mensch. Mir wurde ein Platz am Tisch des Brautpaares zugewiesen, was mich ein wenig als Dienstleister irritierte, aber auch freute. Doch ich habe Probleme, mich bei der Arbeit mit Kunden zu fraternisieren und bringe kein richtiges Gespräch zustande (wo die Väter doch mit High-End-Fidelity-Erzählungen eigentlich vermeintliche Steilvorlagen lieferten. Das interessiert mich jedoch tatsächlich so viel, wie Formel 1 oder Monstertrucks).

Ich schlang also hastig das gute Essen in mich, um mich hinter meine Plattenspieler zu verschanzen und mich etwas zu erholen. Ab und an eine längere Platte, um mich nach draussen zu stehlen und eine Zigarette zu rauchen, solange ich dazu die Zeit und Muse noch habe.

Die nächsten Stunden also plätschernder Bossa, der immer wieder von Hochzeitsspielchen unterbrochen wurde. Ich finde diese Spiele extrem befremdlich, doch scheinen sie zwischenzeitlich zum Hochzeitskanon zu gehören. Das macht einen aufbauenden Set natürlich unmöglich und ich versuchte, mich erst gar nicht über „schnell mal Musik aus“ zu ärgern. Ich meine: ich spiele gerade Vinicious auf einer original brasilianischen Scheibe, ihr Banausen.

Ein junger Mann kommt und fragt, ab wann man sich etwas wünschen könne. Ich versuche einen freundlichen Gegenangriff, indem ich erwidere, dass es heute anders laufe: ich suche Musik aus und die Gäste tanzen. Er kontert, unter welchem Thema der Abend stehen würde. Ich so: gute Musik der letzten 50 Jahre. Er so: kommt auch etwas für Bewegungslegastheniker? Ich so: worauf tanzen die? Er so: na, schnellere Musik. Ich so: wir kommen sicher über 120 BpM heute Abend.

Das nur als prototypisches Gespräch. Ich finde es schwierig, bestimmt, aber nicht arrogant rüber zu kommen. Aber vielleicht mache ich mir nur zuviel Gedanken.

Die beiden Bräute (es war eine gleichgeschlechtliche Hochzeit. Ein sehr schönes, sehr nettes Paar) wünschten sich Shostakovich als Eröffnungswalzer. Ich gab noch den Tipp, einfach nach ein paar Takte sich zu lösen und jede fordert jemanden neues auf, so dass möglichst viele mit tanzen. Das setzten sie auch um und ich versuchte, gleich als nächstes einen allgemeinverbindlichen Disco nachzuliefern. Was auch gut klappte. So setzte ich erst mal auf Discoklassiker, es tanzten hauptsächlich die Frauen, guter Anfang. Dann wieder ein typisches Gespräch. „Es kommt die Schwester einer der Bräute auf mich zu und meint: geht es nicht schneller? Die Braut wünscht sich „it’s raining men“. Und überhaupt bitte etwas moderneres.“ Den Widerspruch scheint sie nicht zu bemerken, doch ich habe auch gar keine Männer, die vom Himmel fallen. Nicht mal zu Hause. Und überhaupt: hier hätte ich das als letzten Wunsch erwartet. Aber Vorurteile sind auch Urteile. Was ich aber alles für mich behielt. Ich versprach, mein bestes zu geben.

Und das tat ich tatsächlich. Obwohl nur rund 40 Gäste, waren meist mindestens 3 – 5 am Tanzen. Das finde ich sehr gut von der Ausbeute, bedenkt man, dass dies keine typische Hochzeitsorgie war. Der Veranstaltungsort war weg vom Schuss und alle mussten nüchtern wieder nach Hause fahren.

Und trotzdem war es Schwerstarbeit. Wie so oft habe ich das Gefühl, alles dabei  zu haben, nur nicht genug vom gewünschten. Ich besinne mich darauf, dass ich nicht mehr als  alles geben kann und gebe einfach alles. Ich wage Sprünge von Dancefloor zu Rock zu Gorillaz zu Nelly, um kurz vor 12 die Nachricht erhalte, um 12 etwas romantisches aufzulegen. Hey, innerhalb 30 Sekunden lag „Moon River“ vom Breakfast at Tiffanys auf dem Teller. Ist das romantisch? Gegenfrage: trinkt der Papst gerne Fanta?

Zu Moon River wurde also die Torte reingefahren, geschnitten und verköstigt. Ich lege Maze und die Liveversion von „Joy and Pain“ nach ( ja, das ist verdammt romantisch), hinterher Style Council und „your the best thing“ (das scheinbar schon auf mancher Hochzeit feuchte Augen bescherte).

Ein Gast wünschte sich einige Zeit vorher einen Cha-Cha. Dem  konnte ich nichts nachliefern, doch auf der Breakfast at Tiffanys gab es tatsächlich einen Moon River Cha Cha. Ich rufe also durch den Raum, ob er noch Interesse habe. Er grinst über beide Backen, holt eine Partnerin und legt einen Cha Cha auf das Parkett. Das war rührend schön anzusehen, wirklich.

Als das vorbei war, ging ich in den Publikumsdialog und fragte, wie wir weiter gehen wollen. Ob noch getanzt werden soll, war meine obligatorische Frage. Die Antwort: ich müsste da schon die Bräute fragen. Ich kratzte mich 0,1 Sekunde am Kopf, um mein „dirty“-Set abzufeuern. Nein, das ist meine kleine Geheimwaffe, die ich nicht im Detail hier erläutern werde. Nur so viel: sie funktioniert immer. Immer? Immer! Die Damen gingen gut aus sich raus und ich musste etwas in mich hinein grinsen, als auch die gleichgeschlechtlich liebenden Frauen auf Snoop Dogs „Sensual Seduction“ freudig tanzten. Ein Schlingel, wer da böses denkt.

Kurz nach 1 Uhr wurde ich gebeten, einen Abschluss zu machen. Bittesehr, Chi Mai von Morricone, dann Abbau, einpacken, 1 Stunde verfahren und endlich um 4 Uhr zu Hause.

Heute morgen dann irgendwie überall Schmerzen im und am Körper, doch es hilft nichts. Die Platten alle hochgetragen, die Anlage zurück gebracht, wie auch das Auto. Und wie ich auf der Straße stand und wartete und sinnierte, warum ich so kaputt sei, da sah ich etwas eigentlich unglaubliches: ein alter Mann geht mit einem roten Ara auf der Schulter den Gehweg entlang. Ich denke mir: „für solche Augenblicke lohnt es zu leben!“ und bin sehr zufrieden mit allem.

Okay, hier ein Detail meiner Geheimwaffe: N.E.R.D. und ihr „she want’s to move“. Der Track hat ein Geheimnis, welches ich nach vielen hören immer noch nicht lösen konnte. Ein kleines Juwel, ein Kleinod, ein winziges Wunder.

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